Mittwoch, 28. Dezember 2011

Streifzug durch Köln-Ehrenfeld: Hinterhöfe, ein Leuchtturm und ein Galgen


Wer Köln-Ehrenfeld auf Ansichten aus der industriellen Revolution begegnet, der fühlt sich mitten ins Ruhrgebiet versetzt. Die Schlote rauchen, Werkshallen erstrecken sich kilometerweit, es ist kein Ende der Industrielandschaft in Sicht, das gigantisch sich verteilende Schienennetz trägt apokalyptischen Züge. In Ehrenfeld hatte sich in dieser Epoche die Elektroindustrie breit gemacht, dazu Gaswerke, Gießereien, Unternehmen des Maschinenbaus, der Automobilindustrie, des Waggonbaus. Das einzige, was man aus dem Ruhrgebiet hätte vermissen können, wären Zechentürme und Kohlehalden gewesen.

Heute haben sich die Industriebauten in die umliegenden Stadtteile zerstreut, in Technologieparks in Braunsfeld, Bickendorf oder Longerich. In Ehrenfeld lebt man inmitten der Relikte der industriellen Epoche und im Schatten der Großstadt Köln. Plakate, in Serien zusammengeklebt, kündigen türkische Neujahrsfeste an. In Afro-Läden kann man sich mit afrikanischen Lebensmitteln eindecken. Ehrenfeld, das ist heute eine unüberschaubare Mischung von allen nur denkbaren Einflüssen.

Ein Spaziergang durch die Seitenstraßen. An vielen Stellen hat man die Industrie platt gewalzt. Besorgt hat dies zum großen Teil der Krieg, in dem Ehrenfeld insgesamt 55 mal Ziel von alliierten Luftangriffen war. So auch eine Glasfabrik auf der rückwärtigen Seite des Ehrenfelder Bahnhofs. Sie hatte bereits in den 30er Jahren die Produktion eingestellt. Nach dem Krieg entstanden dann Wohnhäuser, die schnell, einfach, schnörkellos und kostengünstig gebaut worden waren. In dieser Jahreszeit, mitten im Winter, ohne Grün, wenn die sorgsam proportionierten Bäume kahl sind, verdüstern sich bisweilen die Fassaden. Oftmals schiebt sich der plumpe Stil von Mietskasernen in den Vordergrund, an Straßenecken verwittern rostbraune Klinkerfassaden, der mausgraue Farbton einer gefliesten Gebäudefront passt bedenkenlos in die winterliche Stimmung hinein.

Kleine Betriebe, darunter etliche Ein-Mann-Firmen, prägen die Seitenstraßen in Ehrenfeld. In Hinterhöfen werden Fenster aus Kunststoff gebaut, historische PKW’s werden herausgeputzt, es wird mit Spezialteilen aus Gummi gehandelt, Musikinstrumente werden gebaut, auf Parkflächen quetschen sich Transporter zusammen, die zu einem Malerbetrieb gehören.

In den Hinterhöfen breitet sich bisweilen auch die Gemütlichkeit aus. Im Café ist es gegen 11 Uhr morgens so rappelvoll, dass man keinen Platz mehr bekommt. Das Café ist schlicht, einfach, mit einem blank gewienerten Holzfußboden und hat etwas von den französischen Bistrots: man bringt Zeit mit, schaut, beobachtet, viele frühstücken in aller Ruhe, man blättert in der Zeitung herum oder liest ein Buch. Der Hinterhof: abgetrennt durch den Wintergarten, breitet sich eine Oase der Stille vor dem kalkweiß gestrichenen Gemäuer aus, und Bistrottische und –stühle trotzen den sich auftürmenden Häuserfronten. Bei wärmerem Wetter muss es hier phantastisch sein.

Köln, das war während der industriellen Revolution neben dem Ruhrgebiet und der Textilindustrie am Niederrhein eine der industriellen Schwerpunkte im Rheinland. Insbesondere in Ehrenfeld hat man sich um einige Relikte aus dieser industriellen Epoche gekümmert und diese sorgfältig erhalten. So wurde 1882 die Fa. Berghausen & Co für Telegrafenbau gegründet. Basierend auf dem griechischen Sonnengott Helios, wurde die Firma bereits ein Jahr später in „Helios Aktiengesellschaft für elektrische Beleuchtung und Telegrafenbau“ umbenannt. Mit dem angebrochenen Zeitalter der Elektrizität stellte das Unternehmen das komplette Produktionsprogramm an Beleuchtung her, wozu auch Leuchtmittel für Leuchttürme gehörten. So wurde 1910 wurde der noch heute stehende Leuchtturm auf die Werkshallen gebaut, um diese Leuchtmittel testen zu können. Danach wurde das Produktionsprogramm stetig ausgeweitet – auf Verteilsysteme, Lichtmaschinen oder Generatoren, dennoch schwappte das Unternehmen Ende der 20er Jahre in den Konkurs hinein. Werkshallen und Anlagen blieben aber stehen und blieben sogar durch Kriegszerstörungen relativ verschont. So kann man auch heute durch die Werkshallen bummeln, denn dort ist ein Möbel-Center untergebracht. Sich in die Höhe reckend, hat der Leuchtturm alles überdauert. Wenn man ihn sieht, denkt man unvermittelt an Inseln wie Helgoland, Rügen, Fehmarn oder Norderney. Dabei ist es verdammt komisch, mitten in der Großstadt zu sein.

Ein paar Gehminuten weiter, den Bahndamm entlang, versteckt sich ein Denkmal, welches an die NS-Vergangenheit erinnert. Die Wände des Bahndamms ziert ein gigantisches Gemälde: im Vordergrund marschieren Kompanien von Soldaten, dahinter steuert ein Segelschiff auf sicherem Kurs, flankiert von zwei Kirchen, zur linken der Kölner Dom und zur rechten eine brennende Synagoge. Neben der Übergröße der Wandmalerei verschwindet beinahe die eigentliche Gedenktafel: an Bartholomäus Schink. Schink wurde am 10. November 1944 an dieser Stelle gemeinsam mit 12 weitern Männern erhängt. Sie gehörten den Edelweißpiraten an, die in jugendlichem Alter – Schink war gerade 16 Jahre alt – mitgeholfen hatten, Zwangsarbeiter, Juden und Deserteure zu verstecken, außerdem hatten sie Lebensmittelmarken und Waffen gestohlen, und sie erschossen sogar einen Ortsgruppenleiter. Ohne einen Prozess, öffentlich, so dass die Bevölkerung dies miterleben sollte, wurden die 13 Jugendlichen durch die Gestapo am Galgen erhängt.

In diesem Winter wird auch an einen Freund Schinks – Jean Jülich – gedacht, der den Krieg als Edelweißpirat überlebt hat und im Oktober dieses Jahres im Alter von 82 Jahren gestorben ist. Sein plakatgroßes Foto schwingt sich inmitten von Blumensträußen um einen Brückenpfeiler, und der Geist der Edelweißpiraten lebt in der Kölner Südstadt alljährlich bis in die Gegenwart mit einem großen Festival fort.

Die Bahnlinie, die von Köln nach Aachen führt, war Mit-Auslöser der industriellen Revolution. Die großen Firmen – so auch die Helios-Werke - gruppierten sich um die Bahnlinie. Später, Ende der 20er Jahre, wurde die Bahntrasse mit Hilfe eines Viadukts höher verlegt. Dies prägt auch heute das alltägliche Fortkommen in Ehrenfeld, denn der Bahndamm spaltet den Stadtteil in zwei Teile, und durch ein Netz von Brücken muss man sich von einem Teil Ehrenfelds in den anderen Teil hinein tasten.

Heute sind unter den Torbögen des Viadukts handwerkliche Betriebe beheimatet. Man kann in das Treiben einer Schreinerei hineinschauen, Holzverschnitte, die zusammengestapelt werden, oder Skelette von Holztüren, an denen noch die Verglasung fehlt. Oder man blickt hinein in die Werkstatt einer Schlosserei, wo Bohrmaschinen aufgeständert sind oder Teile eines Geländers herumstehen.

Schlendert man weiter den Bahndamm entlang, so haben sich Heerscharen von Sprayern ausgetobt. In diesem Umfeld wirkt der Ehrenfelder Bahnhof genauso schäbig und abstoßend wie so mancher andere Vorort-Bahnhof. Je mehr man sich dem Bahnhof nähert, ums so mehr muss man Phantasiegebilde von Zeichen entwirren. Eine längliche Gestalt könnte als Gespenst interpretiert werden, ein Musikliebhaber hat dort die Beach Boys verewigt.

Über die Bahntrasse rauscht der Bahnverkehr vorbei, man könnte sogar meinen, im Minutentakt, so dicht wird die Bahnstrecke befahren. Von dort aus geht es weiter nach Belgien, nach Frankreich und in die Niederlande. Und hinter Köln gibt der Thalys so richtig Gas.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen