Montag, 5. Dezember 2011

Friseur bzw. Afghanistan-Konferenz


Diesmal nahm nicht alles seinen gewohnten Gang. Die Sitzbank wurde dekoriert, daher musste ich mich auf einem freien Friseurstuhl hinsetzen. Dann schob eine Friseuse, die ich noch nie gesehen hatte, das mobile Waschbecken an meinen Platz. Sie sprach eine osteuropäischen Akzent, ihre Finger gruben sich beim Haarewaschen in meine Kopfhaut hinein, das krabbelte schön und entspannte.

Seit mehreren Wochen hatte ich den Friseurtermin vor mir hergeschoben, weil ich sonst keine Zeit hatte. Meine Friseuse, die mir sonst die Haare schnitt, begrüßte mich. Sie war ungefähr in meinem Alter, nach außen war sie locker, fröhlich, unbeschwingt, wobei sie ihre innere Unruhe verbarg.

„Sie haben es aber nötig“ kommentierte sie.
Zugegeben: meine Frisur sah katastrophal aus und erinnerte mehr an die 68er-Generation: keine Langhaarfrisur, aber widerspenstig und rebellisch, und egal, wie oft ich die Haare kämmte, sie sträubten sich von meinem Kopf ab. 

Ich war gewohnt, dass sie mit banalen, wichtigen oder unwichtigen Alltagsthemen begann, je nachdem, wie man die Bedeutung der Dinge so sieht.

„Gestern habe ich über eine Stunde im Stau gestanden. Wegen dieser Afghanistan-Konferenz.“

Laut dachte ich nach:
„Haben Sie da auch etwas mit zu tun …
… mit der Afghanistan-Konferenz ?
… die ist doch erst Montag … „

„Vom Flughafen Köln/Bonn kamen irgendwelche wichtigen Staatsgäste. Die A59 war gesperrt. Bis hin zu so einem popeligen Kreisverkehr in Spich. Über eine Stunde stand ich 10 Meter vor diesem Kreisverkehr, konnte weder vorwärts noch rückwärts.“


Ich reimte mir die Fahrstrecke zusammen. Die Teilnehmer der Afghanistan-Konferenz kamen auf dem Flughafen Köln/Bonn an, über die A59 ging es nach Bonn, wo sie wahrscheinlich zu einem Hotel gefahren wurden. Die A59 war gesperrt. Dazwischen lagen viele Autobahnauffahrten, zu denen die Zubringer gleich mit gesperrt worden waren.



„Abends hatten wir noch eine Feier mit unserem Turnverein. Da musste ich mit jemand anders die Tische vorbereiten. Ihr konnte ich gar nicht Bescheid sagen, weil ich ihre Rufnummer nicht mithatte. Ich habe mit meinem Handy durch die Gegend telefoniert, damit jemand anders ihre Festnetz- oder Handy-Nummer herausfindet, um sie dann wiederum anrufen zu können. Hat aber geklappt. Als die Feier anfing, waren alle Tische gedeckt.“



Ich erzählte ihr, dass wir bei unserem letzten Sommerurlaub auf der A48 in Richtung Trier auch in eine solche Vollsperrung hineingeraten waren. Wir hatten auch über eine Stunde im Stau gestanden, ohne nach vorne oder zurück fahren zu können. Wir waren wahnsinnig geworden. Vor lauter Verzweiflung fingen wir an, planlos auf der Fahrbahn hin und her zu laufen. Über jede Abwechslung waren wir froh, unter anderem, als ein Gewitter aufzog und ein Platzregen mit Blitz und Donner auf unser Auto prasselte.



Noch voller Zorn, wollte sie es wissen:
„Wenn ich schon über eine Stunde gelitten habe. Die Afghanistan-Konferenz – Über was wird da eigentlich geredet ?“



Ich musste zugeben, dass sie mich an einem wunden Punkt erwischt hatte, denn ich wusste es nicht richtig, sondern nur fragmenthaft. Meine Fähigkeit, über das Tagesgeschehen in Rundfunk, Fernsehen und Presse informiert zu sein, stieß da an Grenzen. Dass Karsai der Präsident Afghanistans ist, dass es Wahlen gegeben hat, dass sicherlich auch über die ausländischen Truppeneinsätze verhandelt wird, konnte ich ihr erläutern. Doch über den Rest musste ich spekulieren.



Noch einen weiteren wunden Punkt traf sie mit ihrer Fragen. Könnte mir nächsten Montag dasselbe passieren wir ihr gestern ? Denn nächsten Montag musste ich wieder zur Arbeit. Die Konrad-Adenauer-Brücke würde zur Hauptverkehrszeit gesperrt sein, und die

Stadtwerke Bonn hatten bei Bussen und Bahnen Verspätungen angekündigt. Die Kennedy-Brücke, über die Busse und Bahnen fuhren, könnte womöglich auch gesperrt werden.



Fleißig tobte sich die Haarschneidemaschine an der Fülle meiner Haare aus. Dicke Büschel fielen auf den Fußboden oder sammelten sich zwischen meinen Beinen auf dem Frisierumhang. Als meine Ohren herausschauten, kam mir dies wie eine Befreiung vor. Bei einer genaueren Betrachtung war ich wieder deprimiert, dass ich fast nur noch graue Haare hatte. Ordnung und Struktur gewannen in meinen Haaren die Oberhand über Chaos und Wildwuchs.



Danach schweifte das Gespräch ab, auf andere Allerweltsthemen. Kinder, Haus, Nachbarschaft usw.


Fortan war ich irritiert. Würde ich am Montag pünktlich zur Arbeit kommen ? Für den Montag beschloss ich, trotz der dunklen Jahreszeit sicherheitshalber mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen